Berlin. Mit einer App hat Evoléna de Wilde d’Estmael ihre ersten 1000 Stammkunden gefunden. Nun gab es eine Auszeichnung der Bundesregierung.

Der Umweltschutz kommt bei ihr aus dem Handy. Unternehmerin Evoléna de Wilde d’Estmael meint, dass Neukäufe nicht gleich Neuware bedeuten müssen. Second Hand helfe gegen Wegwerfmentalität und schone Ressourcen. Kaum ist ihre App auf dem Markt, wurde ihr Start-up-Unternehmen „Faircado“, das seinen Sitz in Friedrichshain hat und sein Büro in Mitte, mit einem Preis der Bundesregierung ausgezeichnet.

Die App „Faircado – Second hand shopping“, die genaugenommen eine Browsererweiterung ist und sich auf Knopfdruck einfach etwa an Googles „Chrome“ heftet, funktioniert so: Sucht man etwa ein bestimmtes Handy, gibt man die genaue Bezeichnung in seine Suchmaschine ein. Der Nutzer sieht auf dem Bildschirm dann in der Erweiterung eine Reihe von Alternativangeboten – eben aber aus zweiter Hand. Beim blauen iPhone 12 mit 128 GB beispielsweise stehen dann 749 Euro (neu) 566 Euro (mit Gebrauchspuren) gegenüber. Bei Mode und Büchern, die neben Technik die beiden anderen Warengruppen sind, die Faircado auswerfen kann, ist der prozentuale Preisunterschied noch größer.

Start-up macht das Shoppen nachhaltig

Belgierin de Wilde d’Estmael und ihr Co-Geschäftsführer Ali Nezamolmaleki, der 2016 aus dem Iran nach Deutschland kam, wurden im Dezember mit 31 anderen Unternehmen als Preisträger des Gründungswettbewerbs „Kultur- und Kreativpilot*innen“ der Bundesregierung ausgezeichnet. Neun Firmen kommen aus Berlin. Gründer wie sie, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) anlässlich der Ehrung, „treiben mit ihrer Kreativität die Innovationen voran, die unserem Land auch in Zukunft Wohlstand und Sicherheit ermöglichen“.

Das Faible für Dinge aus zweiter Hand packte de Wilde d’Estmael im Kindesalter, als ihre Patentante sie im heimischen Brüssel mit auf Flohmärkte nahm. „Ich liebe die Herausforderung, etwas Schönes zu finden. Das ist wie ein Spiel, wie eine Jagd“, sagt sie. „Und viel günstiger dazu.“

Faircado aus Friedrichshain steht für mehr Kreislaufwirtschaft

Doch wenn die Unternehmerin hinzufügt: „Second Hand ist ein Lifestyle“, meint sie nicht nur, dass sie vom cremefarbenen Jackett bis zu den schwarzen Hosen in gebrauchte Mode gekleidet ist, dass ihr Handy und der Laptop, an dem sie eben ihr Programm demonstriert hat, aus zweiter Hand sind. De Wilde d’Estmael sieht die App auch als ihren Beitrag zu mehr Kreislaufwirtschaft. „Das Gros aller Waren wird gekauft, benutzt, irgendwann entsorgt“, sagt die 29-Jährige. Dem stehe ein kleiner Anteil gegenüber, der in Neuaufbereitung und Recycling geht.

Sie zitiert eine Warnung des World Economic Forums, wonach schon jetzt weltweit 60 Prozent mehr Ressourcen genutzt werden, als die Erde jährlich regenerieren kann. Dabei waren Wirtschaft und Klimaschutz nie Teil ihrer Ausbildung. Bevor de Wilde d’Estmael 2016 nach Berlin zog, wo sie jetzt in Prenzlauer Berg lebt, studierte sie Kommunikations- und Europawissenschaften.

Von ihrer letzten Station, dem niederländischen Groningen, ging es dann in die deutsche Hauptstadt. „Berlin ist dynamisch, alternativ, offen – und zudem schön flach zum Radfahren“, sagt sie und schmunzelt. Im Gegensatz zum heimischen Brüssel könne sie hier alle Wege mühelos auf zwei Rädern zurücklegen. Das Rad ist – keine Frage – übrigens auch aus zweiter Hand.

Erfahrungen in Berliner Start-ups

Fünf Jahre war sie bei Berliner Neugründungen tätig, zuletzt bei einem Anbieter, der für Kunden die Ticketkosten ausgefallener Flüge eintrieb. Nicht zuletzt, weil Fliegen nicht in ihr wachsendes Verständnis von Nachhaltigkeit passte, fühlte sie sich dort irgendwann nicht mehr wohl.

„Als dann die Pandemie startete, war für mich der Zeitpunkt gekommen, genau zu untersuchen, wo ich eigentlich gerade stand“, sagt sie. De Wilde d’Estmael nahm sich eine Coachin, schaute tief in sich hinein und machte sich auf den Weg dorthin, wo sie jetzt beruflich ist. Erst startete sie „Solidartsy“, eine Beratung für Künstlerinnen, der sie mit zwei Kolleginnen Durchsetzungskraft und wirtschaftliches Know-how in einer männerdominierten Branche vermitteln wollte. „Für sie war es kostenlos. Nur wenn sie das Ganze am Ende als erfolgreich empfanden, sollten sie uns eines ihrer Kunstwerke schenken“, sagt die Unternehmerin. 15 Arbeiten zeugen inzwischen in ihrer Wohnung davon.

Anschubfinanzierung und Investoren

Faircado entstand dann, weil de Wilde d’Estmael einen Tisch brauchte. „Ich hatte bestimmte Maße im Kopf, aber keine der Handvoll Second-Hand-Seiten, die ich kannte, bot das an.“ Partner und Technikauskenner Ali Nezamolmaleki habe daraufhin mit ihr nach Lösungen gesucht. Mittlerweile ruft ihre Faircado-App die Datenbänke von 55 internationalen Websites mit zehn Millionen Produkten ab. 1000 Nutzer haben sich angemeldet, seit die App online ist. Nach einer Anschubfinanzierung des Europäischen Sozialfonds von 25.000 Euro in 2021 haben die Beiden zum aktuellen Zeitpunkt eine halbe Millionen Euro über Investoren gesichert.

Sie beschäftigen fünf feste und fünf freie Mitarbeiter, je zur Hälfte Männer und Frauen, alle zehn aus unterschiedlichen Ländern. Frühere Auszeichnungen sowie der aktuelle Preis der Bundesregierung – ein einjähriges Mentoringprogramm –, versprechen „Faircado“ neue Popularität zu verschaffen.

Gerade bei Geschenkanlässen sei ihre App ideal, sagt Evoléna de Wilde d’Estmael. „Schön für den Käufer, weil es günstig ist, schön für den Beschenkten, weil er ein persönliches und einzigartiges Präsent bekommt, und schön für die Umwelt. Das ist“, sagt sie, „eine Win-Win-Win-Situation für alle.“

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